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EINLEITUNGBIOGRAFIEWERKVERZEICHNISnach Entstehungsjahrennach ThemenSucheAUSSTELLUNGENLITERATUR
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BIOGRAFIE
Künstlerische Anfänge –Akademiejahre Erste Jahre als freischaffender Künstler Neubeginn in den 80ern: Steine-Felsen-Berge Kindheit und Jugend Leopold Ganzer, 1929 als letztes von acht Kindern in Innichen, Südtirol, geboren, verbrachte in diesem Dolomitenstädtchen seine ersten Lebensjahre, ehe die Familie nach Lienz in Osttirol übersiedelte. Aus seinen ersten Lebensjahren hat er eine deutliche Erinnerung an einen Unfall: Direkt am Wohnhaus floss der Dorfkanal vorbei. In diesen fiel er beim Spielen und wurde Richtung Wehr abgetrieben. Er schreibt in seinen Erinnerungen: “…etwas weiter unten führte ein schmaler Steg über das Bächlein. Da musste ich meinen Kopf noch oben gehabt haben, denn ich kann mich deutlich daran erinnern, dass ich trotz meiner misslichen Lage fasziniert gewesen bin von den Lichtstrahlen, die zwischen den Brettern des Steges zu mir ins Wasser glitzerten…“ Ungewöhnlich ist hier, dass ein Dreijähriger in einer so misslichen Lage fasziniert sein konnte von Sonnenstrahlen, die im Wasser glitzern! Ist da schon die Faszination des zukünftigen Malers vor den Erscheinungen der Natur zu erahnen? Das nächste für den späteren Künstler bedeutungsvolle Erlebnis fand in Lienz in der 2. Klasse Hauptschule statt: „In der zweiten Klasse mussten wir einmal eine Krähe zeichnen. Ich habe diese Arbeit mit nachhause genommen, um sie fertig zu zeichnen. Lange, lange habe ich daran gearbeitet. Solange, bis mir etwas Seltsames passiert ist. Es war ein neues Gefühl, das in mir entstand. Das erste Mal spürte ich beim Ansehen der endlich fertiggestellten Arbeit, dass sie ein Teil von mir geworden war. Bis dahin hatte das Zeichnen für mich nicht viel bedeutet. Es war ein Schulfach wie andere auch. Hier aber hatte etwas stattgefunden. Ich spürte, dass dies ein wichtiger Moment war. Zeichnen und Malen hatte plötzlich einen neuen Stellenwert bekommen, stellten keine Pflichtübungen mehr das sondern entsprachen einem innersten persönlichen Anliegen.“ Zu Abschluss der Hauptschule kam ein Berufsberater in die Schule. Er drängte den Burschen nach Wien an die Kunstakademie zu gehen: “Ich hatte damals schon begonnen, Ölbilder zu malen. Dem Berater habe ich meine Arbeiten gezeigt. Sie gefielen ihm sehr gut. Einige nahm er mit, um sie in Villach zu verkaufen. Vom Erlös der Arbeiten hat er mir Zeichenkartons gesandt. Er wollte unbedingt, dass ich nach Wien an die Kunstakademie ginge. Doch das waren völlig unrealistische Überlegungen. Er wollte aber entschieden, dass ich etwas Künstlerisches mache… Ich konnte im Herbst nach Innsbruck an die Kunstgewerbeschule gehen.“ Bedingt durch den ersten Bombenangriff auf Innsbruck, bei dem Ganzers Quartier getroffen worden war, musste er wieder zurück nach Lienz und begann dort eine Malerlehre. 1949, nach Abschluss der Lehre entstand für Leopold Ganzer immer dringender der Wunsch, sich intensiver der Malerei zu widmen. Er spürte, dass die Wiedergabe von Gesehenem zu wenig war, dass dies dem Erlebnis, das ihm die Natur gab, nicht genügte. Er versuchte, größere Zusammenhänge zu erfassen, nicht mehr am Detail hängen zu bleiben. Es drängte ihn hinaus aus der Enge der Kleinstadt. Wie viele andere junge Österreicher ging er 1950 als Gastarbeiter in die Schweiz. Zum ersten Mal sah er in Zürich moderne Kunst in einem Museum. „Dieser erste Museumsbesuch hat bei mir viele neue Probleme aufgeworfen, aber auch in der Folge Weichen für meine Zukunft gestellt. Ich hatte damals ein sehr gutes, nahezu fotografisches Gedächtnis. So bin ich im Museum hin- und hergegangen, von den Werken der alten Meister zu den Werken der modernen Meister und von diesen wieder zurück zu den alten Meistern. Und ich habe mir eigentlich mit den alten Meistern leichter getan als mit den modernen. Als ich dann abends nach einem langen Museumstag im Bett lag, konnte ich mir gewissermaßen die einzelnen Säle, die ich durchwandert hatte, der Reihe nach abrufen. Und merkwürdigerweise, offensichtlich weil ich sie so gar nicht verstanden hatte, haben sich mir die Bilder der zeitgenössischen Kunst weitaus mehr aufgedrängt als die vertrauten der alten Meister…“ Und weiter erinnerte sich der Künstler, als er 1999 beschloss seine Biografie für seine Familie niederzuschreiben: „Im Jahr 1952 hatte ich das Glück, eine große Munch Ausstellung in Zürich zu sehen. Mittlerweile hatte ich auch die Museen von Bern und Basel kennen gelernt. Diese Munch Ausstellung aber brachte für mich die eigentliche Entscheidung. Ich war mir endlich sicher geworden: Ich werde einen künstlerischen Beruf ergreifen.“ Leopold Ganzer kündigte seinem Meister. Im November fuhr er mit einer Mappe seiner Arbeiten nach Wien. Zuvor hatte ihm noch eine Cousine, die Malerin Franziska Wibmer-Mikl, nach Ansehen seiner Arbeiten geraten, zu Prof. Andersen zu gehen. Das Semester hatte schon begonnen, die Aufnahmeprüfungen waren längst abgeschlossen. Andersen gefielen die Arbeiten des jungen Mannes, er nahm ihn in seine Klasse auf. Ein wichtiger Bestandteil Ganzers Akademiestudiums war der regelmäßige Besuch des Abendaktes. Die Leitung hatte Prof. Boeckl. Bald entwickelte sich zwischen den beiden ein guter persönlicher Kontakt, der über die Akademiezeit bis zum Tod Boeckls währen sollte. Mit Prof. Andersen hingegen kam es in den ersten beiden Studienjahren immer wieder zu Auseinandersetzungen. Trotzdem erlaubte Andersen dem rebellischen Studenten im Meisteratelier im obersten Stock der Akademie zu arbeiten, allein! In den ersten Studienjahren hat sich Leopold Ganzer intensiv mit Picasso auseinandergesetzt. In seinem Bestreben, von Tendenzen auszugehen, die weniger im Naturalistischen verankert waren als im Konstruktiven geriet er immer mehr in den Sog dieses Genies. Nach einer großen Ausstellung in Lienz in der Spitalskirche mit den Osttiroler Malerkollegen Walchegger und Manfreda gab er den Weg „Picasso“ auf und setzte sich mit Cézanne auseinander. „Eine Annäherung an sein Werk fiel mir sehr, sehr schwer. Vielleicht reizte er mich deshalb. Ich habe sehr lange gebraucht bis ich endlich ein wenig in die Tiefe seines Werks eingedrungen bin. Cézanne sprach öfter davon, dass alle Erscheinungsformen auf geometrische Körper zurückzuführen seien, auf Kugel, Kegel und Zylinder. Demnach war es für Ganzer logisch, dass Künstler wie Mondrian da angeknüpft haben, wenn auch in völlig veränderter Form. Vergleicht man ein Werk Cézannes etwa mit einem Spätwerk Mondrians, dem Broadway Boogie Woogie, so spürt man deutlich einen Zusammenhang mit dem Wollen Cézannes. Wenngleich auch der scheinbare Anlass ein völlig anderer ist. Und auch Ganzers Schaffen war von einer ständigen Polarität durchzogen; er bewegte sich zwischen strenger, geometrisch abstrahierter Form und an der Natur orientierter Form. Eben diese Tendenzen wollte er in seiner Diplomarbeit zum Ausdruck bringen: „In dieser Arbeit wollte ich alle Erfahrungen, die ich in die verschiedensten Richtungen gesammelt hatte, aufzeigen. Ich habe einige Ideen von Cézanne, einige von Mondrian und auch einige eigene in dieses Bild hineingepackt. Der Ansatz dazu war sicher nicht uninteressant. Die Komposition habe ich während des Malvorganges des Öfteren verändert. Das Thema waren Badende. Zuletzt spannte ich alles in ein aus vertikalen und horizontalen Farbstrichen gebildetes Gitter. Prof. Andersen hat es als Entwurf für eine Krawatte deklariert.“
Nun hatte der Künstler sein Akademiestudium abgeschlossen und für seine Diplomarbeit den Staatspreis (heute Abgangspreis) erhalten. Der Versuch sich in Wien sesshaft zu machen, gelang nicht. Er ging zurück nach Osttirol und ließ sich in weiterer Folge in Thal bei Lienz auf einem Bergbauernhof nieder. Nun saß er in einem engen Tal der Lienzer Dolomiten. Blickte er aus seinem Fenster, sah er die Felswände eines Berges. Hier erlebte er die ständigen optischen Veränderungen dieses Berges im Laufe der Tageszeiten, der Jahreszeiten, im Laufe wetterbedingter Veränderungen. Er erkannte, dass selbst eine Vielzahl von Bildern dieses Gegenüber nie voll erfassen werde können. „Und das führte dazu, dass ich in den kleinsten Dingen das Große ebenso entdeckte wie in den großen Dingen das Kleinste erkannte. Und diese Erkenntnis, dass Dinge, an denen man achtlos vorübergeht, genauso wesenhaft sein konnten wie große, hat dazu geführt, dass ich von all dem, das ich bis dahin gemacht hatte, Abschied genommen habe und versucht habe, eine neue, eigene Form zu finden, indem ich durch einfache Formschraffuren auf der Leinwand Dinge gestaltete, die dieses nicht Fassbare, sich ständig Verändernde vermitteln sollten,“ schreibt Ganzer in seinen biographischen Aufzeichnungen. Zu dieser Zeit wechselte Leopold Ganzer von der Ölmalerei zur Acrylmalerei. Die neue Technik erlaubte ihm ein rasches und direktes Arbeiten auf der Leinwand. Die Farben trockneten schnell, er konnte die Bilder einrollen ohne dass sie kaputt gingen, wie das bei Ölfarben der Fall ist. Er hatte nicht viel Platz zum Malen zur Verfügung, und die gerollten Bilder waren einfacher zu lagern als auf Keilrahmen aufgespannte. Zu dieser Zeit, 1958, hatte er eine Ausstellung in Paris in der Galerie Jordan, später eine Beteiligung an einer Ausstellung in der Galerie Bellechasse. Nach seiner Verehelichung 1961 siedelte er zurück nach Lienz. Wieder litt er unter Raumnot. Er malte fünf Jahre lang in einer kleinen Dachbodenkammer in der Isteltalerstraße. Die Bilder aus der Thaler Zeit nannte Ganzer später „Strichelbilder“. Nach der Pariser Ausstellung waren sie ihm zu impressionistisch vorgekommen und er wandte sich wieder einer flächigeren Malweise zu. Bei einer großen Überschwemmung 1962, die mit verheerenden Muren Abgängen im Drautal verbunden war, wurde das Haus einer seiner Schwester, die in Thal lebte, in den Fluss gerissen. In Erinnerung an dieses Ereignis malte Ganzer ein Bild, das neue Ansätze zeigte, die er aber damals nicht weiter verfolgte. Erst in den Bildern der 80er Jahre kam diese Tendenz voll zum Durchbruch. 1970 wurde in Wien eine Ausstellung zum Thema Raumfahrt gezeigt, die den Künstler stark beeindruckte. Er spürte in den ausgestellten Objekten eine neue Ära der Ästhetik. Der Zufall wollte es, dass er zur gleichen Zeit für einen Lienzer Installateur Betrieb eine graphische Gestaltung ausführen sollte. So entstand ein Zugang zu Röhren und deren Verbindungsstücken. Den optischen Eindrücken folgte eine Abkehr von den abstrahierten Landschaftsbildern hin zu einer konstruktiven, geometrischen Phase. Der Künstler verknüpfte die Röhrenelemente mit menschlichen Körperteilen wie etwa Münder, Füße, Brüste und erreichte damit auch einen gewissen surrealen, ironischen Aspekt. Auch eine Anlehnung an die Popart war dabei nicht zu verleugnen. In der späten Phase dieser Periode reduzierte er die ursprüngliche Röhrenform auf eine reine Bildgeometrie. In eben dieser Zeit erfolgte auch die Übersiedlung der Familie nach Wien. Davor hatte Ganzer eine Gastdozentur an einer Mannheimer Kunstschule inne gehabt. Dort hatte er begonnen, sich für die Technik der Radierung zu interessieren. In Wien konnte er sich dieser Technik und dem Aquatinta intensiver widmen. Die Arbeiten aus dieser Zeit entstanden durch Vermittlung von Prof. Herbert an der Hochschule für Angewandte Kunst. Damals beschäftigte sich der Künstler auch mit kunsttheoretischen Betrachtungen zu den Gestaltungsmitteln der bildenden Kunst: Punkt – Linie – Fläche, Rhythmus, Proportionen und Farbkontrasten. Die Bilder dieser Zeit waren eine Steigerung der vorangegangenen Röhrenbilder. Aber bald fühlte sich Ganzer unfrei, eingeengt. Ein schwerer Herzinfarkt 1975 führte dazu, dass er sein künstlerisches Schaffen ganz einstellte, sogar daran dachte, sein Atelier im 9. Bezirk am Sobieskiplatz unterzuvermieten. Er nahm eine Stelle als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in der Herbststraße an und legte sämtliche Ehrenämter (Präsident des Berufsverbands bildender Künstler-BVÖ- und der Verwertungsgesellschaft Bildende Kunst-VBK) nieder und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Von 1980 bis 1983 verbrachte Leopold Ganzer regelmäßig im Sommer eine Woche auf einer abgeschiedenen Alm im Iseltal, Osttirol. Schon bei der Rückkehr nach seinem ersten Almaufenthalt spürte er die Rückkehr seiner Energie, Phantasie und Gestaltungskraft. Von seiner Kindheit an hatten ihn die Berge fasziniert. Dazu der Künstler: „Neben der gigantischen Größe derselben, ihrer vielfachen Schönheit, die durch Sonnenlicht oder andere klimatische oder jahreszeitliche Faktoren bedingt, ständigen Veränderungen unterworfen ist, waren sie für mich auch eine Quelle der Bedrohung. Man denke nur an Steinschlag, Muren, Lawinenabgänge und dergleichen. Dieses zwiespältige Bild begleitete mich bei allen meinen bildnerischen Versuchen, dem überwältigenden Eindruck, den die Berge bei mir hinterlassen haben, Gestalt zu geben.“ Und weiter: “Von meinen Osttirol Aufenthalten in mein Atelier zurückkehrend, schien mir jedes Mal, dass ich nach Lösungen suchen müsste, die meinen vor Ort erfahrenen Erlebnissen noch besser gerecht werden, noch stärker Gestalt verleihen sollten. Vorerst versuchte ich über Vereinfachungen dieses Ziel zu erreichen. Aber plötzlich kippte alles in meiner Arbeit um. Anstelle der Vereinfachung trat eine Auseinandersetzung mit der Kleinstruktur. Schon bei meinen Arbeiten während der Thaler Zeit war ich auf diese Kleinstruktur gestoßen. Ich hatte das Große im Kleinen, das Kleine im Großen entdeckt. Durch diese Sehweise, so schien es mir, konnte ich meine Vorstellung, mein Weltbild besser in eine bildhafte Aussage umsetzen. Das Wissen um die Atomstrukturen, die Weltstrukturen ähnlich sind, führte zu anderen Bildlösungen. Damit bahnte sich aber auch schon wieder der Abschied von dem gewählten Problemkreis: Steine, Felsen, Berge an.“ 1989 erwarben Ganzers einen Kleingarten am Fuße des Schafbergs im 18. Bezirk. „An die Stelle einer gewaltigen Bergnatur trat nun eine voller Intimitäten, voll Veränderungen, die im Laufe eines Jahres einen Kreislauf aufzeigen, der Werden und Vergehen umschließt. Man denke dabei nur an die kahlen Äste eines Baumes, das Schwellen der Knospen, das Erblühen, das Ergrünen, das Tragen von Früchten, deren Ernte, an das Herbstlaub mit seinen farbigen Akzenten und dem Fallen der Blätter, dem neuerlichen Kahlwerden. All das lässt gegenwärtig werden, was in der Bergnatur über Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende an Veränderungen registrierbar ist. In der Natur des Gartens aber ist das ein fast alltäglich erkennbarer Prozess der Veränderung.“ In den folgenden Sommermonaten verbrachte der Künstler seine Zeit fast ausschließlich in seinem Garten. In den Sommermonaten malte er nicht, er sammelte Eindrücke, ließ diese auf sich einwirken. Eine Vielfalt an Farben und Formen sammelten sich so in ihm durch das Betrachten der ihn umgebenden kleinen Gartenwelt. Zurück in seinem Atelier fanden diese Erlebnisse ihren sichtbaren Ausdruck, sei es als Bild, als Tuschezeichnung oder Aquarell. 1986 war Leopold Ganzer in Pension gegangen. Endlich war er frei von allen Zwängen, die ihn bisher das Malen erschwert hatten. Und gerade in dieser Zeit traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Ein Melanom auf der Netzhaut des linken Auges konnte zwar positiv behandelt werden, doch er verlor dadurch das Augenlicht. Ein schwerer Schlag für einen Maler! Dank seiner stets positiven Einstellung und seines Dranges, sich über die Farbe mitzuteilen, malte er nun erst recht weiter, einäugig. Ganzers Bilder sind alle Aussagen von Erlebnissen, mögen sie einem äußeren oder inneren Anstoß folgen. Sie sind nicht als abstrakte Kunst zu sehen, doch gab der Künstler seinen Arbeiten nur selten einen Titel. Dazu sagte er: “Ich meine, dem Betrachter soll es obliegen, so wie ich beim Malen einem Erlebnis folge, selbst jedes Bild auf seine Weise zu erleben. Titel können, wenn sie gut gewählt sind, eine Hilfestellung bedeuten. Sie können aber auch die Betrachtung einengen.“
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